
Kaum war unser Erstgeborener auf dürren Beinchen ausgezogen, das Lesen und Schreiben zu lernen, schon stand der Wechsel zur weiterführenden Schule an. Bereits in den Sommerferien vollzog sich an unserem Sohnemann eine seltsame Wandlung. Ein Phänomen, das ich bereits an meinem Neffen und an meinen Nichten beobachten konnte. Plötzlich mutierten die lieben Kleinen zu coolen Teenies, die ihre Kindheit und alles damit Zusammenhängende von einem auf den anderen Tag gelassen hinter sich ließen. Mein Neffe beispielsweise übergab seine mit reichlich Taschengeld frisch aufgestockte Pokemon-Sammlung punktuell zum Schulwechsel großzügig unserem damals 5-jährigen Sohn, der das Geschenk selbstverständlich dankend annahm. Alles vermeintlich Kindliche musste rasch und unauffällig „abgestoßen“ werden. Alles stand auf Neustart, alles musste neu, alles musste cool und alles andere war peinlich. Mit unserem Erstgeborenen erging es uns nun also ganz ähnlich. Zunächst musste eine neue Schultasche, vielmehr ein trendiger Schulrucksack her. Gut –, dafür hatte ich ja durchaus Verständnis. Tatsächlich war ich heilfroh, dass unser Sohnemann vier Grundschuljahre mit ein und derselben Tasche durch die Lande gezogen war, ohne sich zu beklagen und ohne ins soziale Abseits zu geraten.
Eine Selbstverständlichkeit war das nicht. Neues Etui, neue Stifte, neuer Füller – auch klar. Der Schreiblernfüller hatte seinen Dienst getan und konnte direkt an unser Töchterchen übergeben werden. Jedenfalls theoretisch. Eine genaue Strategie bezüglich der Übergabe des guten Stücks an unsere Tochter stand indes lange aus. Ein gebrauchter Füller war nicht gerade dazu angeraten, unser entzückendes Kind in Jubel zu versetzen. Aber zurück zum Thema. Eine Vielzahl der Neuanschaffungen fand also durchaus meine Zustimmung und mein Verständnis. Warum jedoch ein neuer Anspitzer hermusste, entzieht sich bis heute meiner Kenntnis. Das „alte“ Modell war vollkommen in Ordnung und absolut unauffällig im Design. Also keine peinlich kindlichen „Winnie Puuh“-Bildchen oder dergleichen. Vielleicht lag die Ursache ja auch gerade in der schlichten Funktionalität. Ein auf seine Funktion reduzierter Anspitzer, der ansonsten nichts vorzuweisen hatte, war eines Heranwachsenden scheinbar nicht würdig. Selbstverständlich genügte auch das „alte“ Radiergummi den Ansprüchen eines frischgebackenen Fünftklässlers nicht. Es hatte ebenfalls ausgedient und fand weder Platz noch Gnade im hübsch designten neuen Etui. Stattdessen waren nun Radierkappen angesagt, die man den Bleistiften ganz einfach überstülpte und auf diese Weise immer einsatzbereit zur Hand hatte.
Hatten sich die Kappen nach häufigem Gebrauch entmaterialisiert, so stülpte man dem Stift ganz einfach ein neues Modell über, während doch bei den herkömmlichen Radiergummi-Bleistiften am Ende des Radierers immer so viel Bleistift übrig blieb. Ein Must-have, das nun in vielen Farbvarianten auch meine Schreibtischschublade füllt. Im Übrigen, so belehrte mich unser Sohn mit Nachsicht, zählte ein Turnbeutel zu den absoluten Tabus im Leben eines Halbwüchsigen, weswegen das wiederum schlicht graue Turnbeutelmodell durch eine wenig zweckmäßige und meines Erachtens sperrige Sporttasche ersetzt werden musste. Während der Turnbeutel noch problemlos einen Platz im Schulrucksack gefunden hätte, musste die trendige Sporttasche umständlich an den Tragegriffen auf dem Rücken transportiert werden. Denn tatsächlich war der Schulrucksack derart prall gefüllt, dass er unmöglich während der 4 Kilometer langen Fahrt mit dem Fahrrad auf dem zarten Rücken unseres Sohnes getragen werden konnte, sondern im Fahrradkorb mitzuführen war. An „Sporttagen“ radelt unser Sohn nun also stets ungemein lässig und schwer beladen vom Hof, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, er verließe die elterliche Obhut und seine bisweilen peinlichen Eltern auf Nimmerwiedersehen.
Mein unbedachter Vorschlag, die Liste der mehr oder weniger notwendigen wie kostspieligen Neuanschaffungen abschließend um eine Regenhose zu erweitern, stieß auf einen völlig unerwarteten und nahezu kämpferischen Widerstand seitens unseres Sohnes. Eine Regenhose, so die frei übersetzten Worte unseres Erstgeborenen, rangiere in seinen eigens aufgestellten Top Ten der unbestrittenen No-Gos direkt hinter den Spitzenreitern „Turnschläppchen“ und „zwischenelterliche Zuneigungsbekundungen“ noch deutlich vor dem Turnbeutel. Ich unterließ jedwede Überzeugungsarbeit, hatte ich doch schon besagten Turnbeutel nicht vor der ewigen Verdammnis retten können. Stattdessen würde ich einfach warten, bis die Natur – vielleicht in Form anhaltender Regenschauer – ihren Lauf nahm … Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis die Regenhose zum Must-have der Rad fahrenden neuen Schülerschaft avancieren und der Coolness Einhalt gebieten würde.