
Große Erwartungen sind es, die uns alle in der Weihnachtszeit umtreiben. Endlich soll die Familie einmal wieder zusammenkommen. Man stellt sich vor, wie sich die Großeltern wohlwollend mit weisem Lächeln über die Wiege beugen, in der selig das Neugeborene schlummert. Man hört im Geiste die Hausmusik der älteren Geschwister, wie sie in stiller Eintracht sich rund um das Klavier scharen mit Cello, Violine und Querflöte und engelsgleicher Klang aus dem Musikzimmer in die Küche herüberweht. Dort wird routiniert ein letztes Mal Hand angelegt an die pralle Weihnachtsgans, die seit Stunden ihrer goldbraunen Krönung entgegen brutzelt. Unter dem vertrauten Gelächter der Schwägerinnen werden Klöße gerollt und Spätzle geschabt und der Rotkohl mit Äpfeln verfeinert…
Unter dem erleuchteten, mit echten Kerzen bestückten Tannenbaum liegen festlich verpackt die als pädagogisch wertvoll einzustufenden Geschenke für die Kleinen und Großen. An der Christbaumspitze prangt der Familienengel, der ebenso wie der gesamte Baumschmuck bereits über Generationen hinweg die Kinder erfreut. Mundgeblasen aus Lauscha…
Der Hund liegt friedlich schlafend in seinem Körbchen und die Katze weilt auf ihrem erhöhten Ausguck auf dem Sofa, auch das ein Erbstück aus der Biedermeierzeit, frisch gepolstert und eine Augenweide im sogenannten Herrenzimmer.
Man macht sich schön, denn festliche Garderobe gehört dazu, auch die Kleinsten tragen bald gestärkte Hemden und eine niedliche Fliege, farblich abgestimmt auf die Bordüren an den weißen Kleidern der Schwestern. Pünktlich zum Heiligen Abend fallen beim Läuten der nachmittäglichen Kirchenglocken die ersten Schneeflocken, es wird also weiße Weihnachten geben. Der Abend wird seinen eingespielten harmonischen Lauf nehmen, jeder wird sich mit einem dankbaren Lächeln und einer herzlichen Umarmung für sein Geschenk bedanken und als Höhepunkt des Abends wird man gemeinsam durch den Neuschnee stapfend die Christmette in der nahen Dorfkirche besuchen.
Soweit die großen Erwartungen… Diese wunderschöne Heilige Nacht hat schon bei den Buddenbrooks nicht funktioniert und auch bei Michel aus Lönneberga ging immer etwas schief. Also stellen Sie sich lieber auf nörgelnde Schwiegereltern, ein Baby mit Weihnachtskoliken, einen Spontanbesuch in der Tiernotklinik, wahlweise auch beim diensthabenden Kinderarzt, einen zähen Vogel und enttäuschte Gesichter beim Auspacken der allzu pädagogischen Spielsachen. Fast hätte ich den Weihnachtsburnout vergessen, der gerne in unheiliger Allianz mit usseligem Schmuddelwetter und genervtem Partner daherkommt. Wenn Sie sich mit all dem im Geiste abgefunden haben, kann der Heilige Abend einfach nur besser werden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes Fest.
Alle Jahre wieder
Verkaufsoffenes Samstagsgewühle
Weihnachtsmann-Inflation
Jingle Bells als Klingelton
Senfflecken auf der Jacke
Lebkuchenorgien und Zuckerschock
hektisches Gekeife an der Supermarktkasse
miesepetrige Gesichter in der Straßenbahn
kitschiger Tand made in Ganzweitweg
künstlicher Watteschnee im Schaufenster
singende Schneemänner
Pappsüßer Glühwein
Smartphone, Playstation und Co
Dekowahn und Lichterkettenmassker
Weihnachtsfeier im Kindergarten
einsame Waldspaziergänge
Kinderhand in Großenhand
gegrillte Maronen
Eislaufen im Park
Kerzenlicht und Plätzchenduft
Sehnsucht nach Schnee
Engelshaar auf der Fensterbank
lebensgroße Krippen in halbdunklen Kirchen
Weihnachtskonzerte zum Mitsingen
Apfel, Nuss und Mandelkern
Adventskranzlicht
Vorlesen im Halbdunkel
Bratäpfel im Backofen
Erleuchtete Gassen
Schatzsuche in der Bibliothek
Abendliches Glockengeläut
Briefe ans Christkind
Weihnachtsessen mit Familie und Freunden
Räuchermännchen auf der Fensterbank
Sternebasteln
Festgottesdienst mit Krippenspiel
Zeitvergessenes Spielen unterm Tannenbaum
Sie haben die Wahl – alle Jahre wieder.
Frohe Weihnachten!
Eva Unterburg