Corpus Delicti

Grafik Günter Land

Neulich traf ich mich mit unserem Sohn. Ich war gerade in der Gegend und holte ihn für ein kurzes Abendessen von der Uni ab.

Bisher noch nichts Spektakuläres, aber nachdem er sein Fahrrad diebessicher abgestellt hatte und durch die Winterdunkelheit herangestapft war, um sich ins vorgewärmte Auto zu setzen, roch es irgendwie komisch. Nach Katzenfutter, meinte er. Fand ich nicht und erwiderte, dass ich eher an Hund denke und nicht an das was oben rein kommt, sondern eher an den hinteren Ausgang desselben.

Wie von der Tarantel gestochen spritzte er auf und hob panisch seine Füße. Und tatsächlich, sein rechter Schuh war kontaminiert und zwar in unüberschaubarem Ausmaß. Sämtliche Küchentücher, Tempos und Papierschnipsel, die jemals in meinem Autoinneren Herberge genossen hatten, waren nötig, um den Schuh in einen ansatzweise tragtauglichen und geruchsneutralen Zustand zu versetzen. Der Gelbsucht nahe und etliche Flüche ausstoßend wollte unser Sohn nun wissen, wo genau ihn das Unglück ereilt hat und begann akribisch den Gehsteig zu untersuchen. Wie ein Storch im Salatbeet stakste er im Dunkeln herum und kam triumphierend mit dem Ergebnis zurück, dass das Corpus Delicti sich in voller Größe mittig auf dem Gehweg befände, geradezu einladend, von manch anderem arglosen Spaziergänger aufgegabelt und in alle Himmelsrichtungen weitergetragen zu werden.

Und wieder einmal fragten wir uns, welcher Hundehalter das zu verantworten hatte? Wo waren all die kleinen braunen oder blauen Tütchen geblieben, die solche Dramen von amtlicher Seite verhindern sollten? Und überhaupt: wie riesig war dieser Hund? Und ich erinnerte mich mit Entsetzen an all die Augenblicke, wo ich müde vom Spielplatz kam und mich direkt neben den Kinderwagen kniete mit dem noch müderen Kleinstkind drinnen und plötzlich diesen unerträglichen Geruch direkt in der Nase hatte. Na prima, der Kinderwagen stand zu diesem Zeitpunkt bereits mitten im Flur und war min-destens vier Meter über Teppichboden gefahren.

Ich liebe Hunde, aber…. diese Hundebesitzer würde ich zu gerne einmal kennenlernen und dann alle Schimpfworte, die ich jemals von Kindesbeinen an von meinen großen Brüdern gelernt habe, aber nie einsetzen durfte, loswerden. Alle auf einmal mit vollem stimmlichen Einsatz und einer Gestik, die einer betrogenen süditalienischen Ehefrau alle Ehre machen würde. Dieser Hundebesitzer würde mit Sicherheit NIE wieder seine beiden eigenen und die vier Beine seines Hundes auch nur in die Nähe unseres Hauses setzen, da bin ich sicher. Ich wäre grausamer Racheengel, schlangenköpfige Medusa und Robin Hood in Personalunion, sozusagen der Rächer der Reingetretenen, der bemitleidenswerten Stinker und würgenden Angeekelten. Ich würde keine Gnade walten lassen und den Hundebesitzer so lange beschimpfen, bis er die Hinterlassenschaft seines inkontinenten Freundes mitnehmen würde, ob nun mit oder ohne Tütchen wäre mir völlig egal. Von mir aus in der ledernen Männerhandtasche oder im Filzhut, Hauptsache weg damit.

In sturer Regelmäßigkeit ist unser Treppenabgang mittig geschmückt mit einem Hundehaufen. Ich verstehe es nicht… da sind Treppen, ein Blumenbeet, eine Eingangstür mit Briefkasten und Namensschild. Jedes Kind würde aus diesen Komponenten schließen: Aha, hier wohnt jemand. Jemand, der hier mehrmals täglich langgeht, vielleicht mit Einkäufen in der Hand oder Mülltüten. Jemand, der morgens zur Arbeit geht und den gleichen Weg nimmt, wenn er abends wieder nach Hause kommt. Jemand, der nullkommanull Wert darauf legt, bei diesen Tätigkeiten in einen Hundehaufen zu treten. Was soll das also?

Ich habe eine Theorie: Die Hundehalter kommen  mitten in der Nacht, um unerkannt ihre Spuren zu hinterlassen. Ich sehe nie auch nur einen Gassi gehen mit seinem Hund. Vielleicht bewegen sie sich unerkannt und heimlich, weil sie ahnen, welche Medusa, welcher Racheengel in jenem Haus wohnt, wo sich ihr Vierbeiner so gerne im Treppenabgang erleichtert – und zwar immer mittig!