20 Jahre Kinderinsel

Konzentriert und vorsichtig rutscht Anouk bäuchlings das Brett herunter, das an einem Tripp-Trapp-Stuhl eingehängt ist. In einer Ecke knien Tom und Leon. Sie bauen gerade an einem meterhohen Duplo-Turm. Vor dem großen Fenster in der Kuschelecke auf einer Matratzen- und Kissenlandschaft sitzt Apollonia mit einem Bilderbuch und liest vor. Ein Kind auf ihrem Schoß, vier weitere daneben: Dicht aneinander geschmiegt folgen sie der Geschichte. „Als ich das erste Mal in die Kinderinsel kam, war ich sofort überzeugt von der schönen Atmosphäre: Der große, offene kindgerechte Raum mit vielen Möglichkeiten zum Spielen und Toben auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die vielen Rückzugsmöglichkeiten: Angefangen bei der Puppenecke über den Raum mit dem Montessori-Spielzeug bis hin zu dem großen Garten, wo sich meine Tochter Marieke so gern mit ihrer Freundin Carla im Gebüsch versteckte. Drei Jahre war Marieke in der Kinderinsel: als Einjährige kam sie nur einen Vormittag, als knapp Vierjährige die ganze Woche lang. Sie ist immer mit Begeisterung zu Loni und Carsten gefahren. Für mich war toll, dass meine Tochter so liebevoll und kompetent betreut wurde und Nickelsens immer flexibel waren: Meine Tochter konnte problemlos auch mal bis abends um sechs bei ihnen bleiben. Das gab es sonst nirgends“, sagt Christiane Sütterle, eine begeisterte Mutter über die Kinderinsel von Apollonia und Carsten Nickelsen. Entsprechend lang war und ist die Warteliste in der Kinderinsel. Dabei war der Plan der Nickelsens, unter dreijährige Kinder professionell zu betreuen, vor fast 21 Jahren mehr als kritisch aufgenommen worden. „Kinderbetreuung für unter Dreijährige! Wer braucht das denn?“, mit diesen Worten versuchte die zuständige Ettlinger Stadträtin die Idee eines familienfreundlichen Betreuungsangebots für unter Dreijährige abzubügeln. Dabei hatte die junge Patchwork-Familie Nickelsen selbst erlebt, wie schwierig es ist, Familie und Beruf sinnvoll miteinander zu vereinbaren und eine geeignete Lösung zu finden für die außerhäusliche Betreuung von Kleinkindern. Überzeugt von Ihrem Konzept ließen sich die Beiden nicht entmutigen und unternahmen ein Jahr später einen neuen Anlauf, ihren Traum zu verwirklichen. Sie stellten ihr Konzept der zuständigen Behörde, dem damaligen Landeswohlfahrtsverband, vor. Nicht gerade überzeugt von der Notwendigkeit eines solchen Angebotes und dennoch nicht uninteressiert, willigte der zuständige Amtsleiter ein, das vorgestellte Konzept umzusetzen. 1994 war es dann so weit: Das Ehepaar Nickelsen eröffnete die Kinderinsel, das erste krippenähnliche Betreuungsangebot für unter Dreijährige in der Region, wenn nicht sogar bundesweit. Mit ihrem Traum, ein familiennahes, flexibles und individuelles Betreuungsangebot in Ettlingen zu schaffen, das sich an den echten Bedürfnissen der geänderten Lebenssituation orientiert, waren Nickelsens ihrer Zeit um zehn Jahre voraus. Ausgangspunkt ihrer pädagogischen Überlegungen sollte die Begleitung von Kindern zur Selbständigkeit und Eigenaktivität sein. So orientierten sie sich an der Pädagogik Maria Montessoris mit dem Leitmotiv „Hilf mir, es selbst zu tun“. Eine weitere Richtschnur waren die Erkenntnisse zur Kleinkindbetreuung Emmi Pik­lers in ihrem Lóczy-Institut und Elfriede Hengstenbergs Konzept der natürlichen Bewegungsentfaltung. Es folgten mehrere Seminare in Karlsruhe und eine 14-tägige Hospitation im Pesta in Ecuador bei Mauricio und Rebeca Wild. Damit stand das pädagogische Grundgerüst für die Kinderinsel. Gefüllt wird es seitdem mit dem großen Enthusiasmus der Nickelsens: „Für uns ist der Beruf zur Berufung geworden: „Wir arbeiten nicht. Wir leben unseren Beruf“, sagt Montessori-Pädagoge Carsten Nickelsen. Zum Konzept der Kinderinsel gehört auch, dass die Kinder eine weibliche und eine männliche Bezugsperson haben. Anders als im traditionellen Rollenklischee steht dort der Mann in der Küche. „ich koche selbst, gesund und mög­lichst fleischarm“, sagt Carsten Nickelsen. „Unsere Produkte sind zu einem großen Teil biologisch erzeugt und stammen aus regionalem Anbau.“ Dabei geht es aber auch darum, die Kinder miterleben zu lassen, wie ihr Essen zubereitet wird. Sie können zuschauen, wie die Möhren für den Linseneintopf geschnitten werden und dürfen auch mal selbst mit im Topf rühren. „Meine Tochter Marieke hat viel Wertvolles für ihre Entwicklung aus der Kinderinsel mitbekommen und noch heute sind Linsen mit Spätzle ihr Leibgericht!“ weiß Christiane Sütterle.